Die Investoren Judith Dada und Christian Miele sprechen im Interview über die Zukunft der Deutschen Startup-Szene.
Im Interview sprechen die Investorin Judith Dada und Christian Miele, Investor und Chef des deutschen Startup-Verbands, über verlorenen Gründergeist, welche Rolle Startups bei der Entwicklung des Landes spielen und was aus dem bekannten Label „Made in Germany“ geworden ist.
Würden Sie, wenn Sie den Standort wählen könnten, nach wie vor ein Startup-Unternehmen in Deutschland gründen?
Judith Dada: Ganz klar: Ja. Nehmen Sie mein Beispiel, ich bin Kind von Einwanderern, habe in den USA und in England studiert, habe in Irland gearbeitet, wo man im europäischen Vergleich unternehmerisch große Freiheiten genießt, und habe mich bewusst entschieden, in Deutschland, in Berlin, ein Unternehmen aufzubauen, zwar kein Startup, aber einen Venture-Fonds für Startups.
Was hat Sie dazu bewogen?
Dada: Ich bin passionierte Europäerin und hänge auch sehr an meiner Heimat Deutschland. Wir haben viele Talente, Deutschland bietet zahlreiche Vorzüge und mir eröffneten sich hierzulande großartige Chancen. Obwohl ich immer noch viel Zeit im Mekka der Startups, im kalifornischen Silicon Valley, verbringe und oft in London und Paris bin, zwei für Startups ebenfalls verheißungsvolle Standorte, würde ich mich immer wieder dafür entscheiden, hier in Deutschland ein Unternehmen aufzubauen.
Ist Deutschland also ein perfekter Standort für Neugründungen?
Dada: Nein, selbstverständlich müssen wir vieles besser machen, uns noch mehr anstrengen. Auch müssen wir höllisch aufpassen, dass wir wichtige technologische Entwicklungen nicht weiter verschlafen und dadurch den Anschluss an die Weltspitze verlieren. Doch ich bin fest überzeugt, dass es nach wie vor möglich ist, in Deutschland nicht nur ein erfolgreiches Startup zu gründen, sondern ein Unternehmen, das zu den besten der Welt gehören kann. In meinem Venture-Fonds sagen wir immer, unser Ziel muss es sein, dass innerhalb der nächsten Dekade zwei oder drei der größten und erfolgreichsten globalen Unternehmen aus Europa oder Deutschland kommen sollten.
Christian Miele: In Deutschland planen weniger Menschen, ein Unternehmen zu gründen, als im internationalen Vergleich, auch unsere Selbstständigenquote ist unterdurchschnittlich. Dabei sind wir doch im Prinzip alle Gründerinnen und Gründer. Wir gründen Familien, WhatsApp-Gruppen, Sportvereine, politische Parteien, wir gründen den Foodtruck vor dem Fußballstadion und die Lerngruppe in der Schule. So gut wie jeder Mensch trägt diese Gründungsenergie in sich. Im Zeitalter der Industrialisierung und nach den Verheerungen des Zweiten Weltkriegs hat uns dieser Schaffensdrang stark gemacht und Bahnbrechendes hervorgebracht. Heute fehlt mir der Wille für wirklich Großes. Diesen Gründergeist müssen wir wieder wecken.
Jede Generation hat andere Ziele. Die Kriegsgeneration lebt größtenteils nicht mehr, die Babyboomer gehen in Rente, die Jüngeren wollen andere Arbeitszeitmodelle, wünschen sich eine bessere Work-Life-Balance. Ließe sich der von Ihnen geforderte Gründerdrang mit einem besseren Gleichgewicht zwischen Berufs- und Privatleben vereinbaren?
Miele: Ich persönlich finde, dass der Begriff Work-Life-Balance auf eine falsche Fährte führen kann – so, als kämpften Arbeitswelt und Privatleben erbittert gegeneinander und wäre jeder Mensch gezwungen, permanent zwischen den zwei Fronten auszugleichen. Als mein Vater noch lebte, habe ich ihn einmal gefragt, wie es ihm damit in meinem Alter – also irgendwann in den 1960er-, 1970er-Jahren – gegangen sei. Sein Vater, so seine Antwort, habe ihm nicht den Rat gegeben: „Werde glücklich, sei immer zufrieden!“ In seiner Zeit ging es allein darum, hart zu arbeiten. So vermodert ich dieses Lebenskonzept finde, so offen sollten wir uns eingestehen, dass unsere Freiheit, über eine Viertagewoche und völlig unterschiedliche Arbeitskonzepte nachdenken zu können, ein großes Privileg und in erster Linie unserem Sozialstaat zu verdanken ist. Das Geld, das der Sozialstaat ausgibt, muss aber zunächst einmal verdient werden.
Also keine Work-Life-Balance als gesellschaftliches Grundkonzept?
Miele: Wenn wir weiter an der Weltspitze mitspielen wollen, brauchen wir mehr Leute, die bereit sind, Zugpferd zu sein und sich über Gebühr anzustrengen. Dabei ist es völlig egal, ob sie eine IT-Firma leiten oder eine Bäckerei, in der ohnehin wahnsinnig viel gearbeitet wird, bis zu 80 Stunden die Woche. Als Gesellschaft müssen wir wieder dahin kommen, dass es nicht nur völlig okay ist, sondern auch honoriert wird, wenn Menschen unter größten Anstrengungen Spitzenleistungen erbringen wollen.
Dada: Ich stimme Christian voll und ganz zu. Wenn ich ein Unternehmen aufbauen möchte, das innerhalb der nächsten zehn Jahre zu den weltweit zehn erfolgreichsten gehören soll, muss ich über eine Work-Life-Balance gar nicht erst nachdenken. Wir müssen uns nur mal außerhalb von Deutschland umschauen. Der Wettbewerb da draußen ist krass und wird angesichts neuer Produktionstechnologien und globaler werdender Belegschaften immer heftiger. Es gibt massenhaft ausländische Unternehmen, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr hart arbeiten wollen.
Miele: Im Sport haben wir kein Problem damit, im Fußball wollen wir Weltmeister sein und es ist keine Anstrengung auf dem Weg dorthin groß genug. Doch im Bereich der Wirtschaft ist uns dieser Ehrgeiz merkwürdigerweise ein wenig abhandengekommen.
Wenn sich dafür hierzulande nicht mehr genügend Menschen finden, sollten dann mehr Einwanderer angeworben werden, die womöglich eine andere Arbeitseinstellung mitbringen?
Dada: Unbedingt. Und nicht nur, um die vielen freien Stellen zu besetzen, sondern auch um mit ihrem Eifer und Tatendrang unsere Wirtschaft anzukurbeln. Die meisten Migranten wünschen für sich und ihre Familie ein besseres Leben und sind bereit, sich dafür gewaltig anzustrengen. Dieser unbedingte Wille ist eine starke Triebfeder, Einwanderer sind oft besonders ehrgeizig und ambitioniert. Mein Vater zum Beispiel kam vor knapp 40 Jahren als nigerianischer Flüchtling nach Deutschland, meine Arbeitsmoral habe ich weitgehend von ihm geerbt. Wir brauchen nur in die USA zu schauen, dort prägen immer neue Migrationswellen die Unternehmenskultur, sorgen für eine anhaltende große Dynamik der amerikanischen Wirtschaft. Viele Einwanderer kommen mit so gut wie nichts ins Land, arbeiten in mehreren Schichten sechs Tage die Woche, damit es ihre Kinder einmal besser haben. Ich will hier nicht das amerikanische Wirtschaftsmodell propagieren, es hat viele Schattenseiten, vor allem im Hinblick auf das Soziale. Aber den Ehrgeiz der Migranten können wir gut gebrauchen.
Derzeit muss wahnsinnig viel finanziert werden, die Energiewende, die militärische Zeitenwende, die Digitalisierung, um nur drei Beispiele zu nennen. Der Wandel stellt auch viele traditionelle Unternehmen vor große finanzielle Herausforderungen, sie brauchen für ihre Transformation dringend Geld und halten bereits die Hand auf. Haben Sie Sorge, dass Startups am Ende den Kürzeren ziehen? Dass für sie nicht mehr ausreichend Risiko- oder Wagniskapital zur Verfügung stehen wird?
Dada: Ein großer Teil der Kapitalbasis für Startups stammt nicht aus staatlichen Steuereinnahmen, sondern aus vielen Töpfen. Was mich persönlich jedoch besonders stört: Keins der derzeit fünf größten deutschen Unternehmen, die mit Wagniskapital finanziert werden, hatte in einer der letzten großen Finanzierungsrunden einen führenden deutschen oder europäischen Investor. Sie kamen alle aus Katar, den USA oder den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Ist das denn schlecht?
Dada: Selbstverständlich sind wir ein offener Markt und heißen ausländische Investoren willkommen, sie sind neben staatlicher Finanzierung und deutschen Investoren eine weitere wichtige Geldquelle. Aber sie dürfen eben auch nicht, wie sie es in den vergangenen Jahren waren, der einzige oder zumindest der alles beherrschende Geldgeber sein. Auch aufgrund der neuen Weltlage müssen wir strategischer denken, jedenfalls soweit es die großen Unternehmen und Kerntechnologien betrifft. Weil wir sichergehen müssen, dass unsere einheimischen Innovationserfolge nicht ausschließlich von ausländischen Investoren finanziert werden, wünsche ich mir mehr deutsche und europäische Kapitalquellen, staatliche wie privatwirtschaftliche.
Miele: Bei diesem Thema schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Der Marktwirtschaftler in mir sagt, der Staat soll sich bitteschön bei der Finanzierung heraushalten, denn sein Eingreifen verzerrt die Preise und macht die Marktdynamik kaputt. Der Realist in mir sieht aber, dass alle unseren globalen Wettbewerber starke Partnerschaften mit staatlichen Finanziers eingegangen sind. Das Silicon Valley hat sich im großen Umfang staatliche Aufträge und staatliche Dollar gesichert. Tesla oder auch SpaceX haben enorm vom amerikanischen Steuerzahler profitiert, da können wir in Deutschland nur vor Neid erblassen. In China, am anderen Ende der Welt, steckt der Staat irrsinnig viel Geld in die Innovationsbranche. Und im Grunde macht es ja auch Sinn, Finanzmittel für Forschung und Entwicklung bereitzustellen, denn diese Ausgaben können Unternehmen nicht immer aus eigener Kraft leisten. In Europa haben wir das langsam begriffen und beschreiten Schritt für Schritt einen besseren Weg.
Frau Dada, Herr Miele, Sie haben am Anfang gesagt, Sie würden sich für die Gründung eines Startups immer wieder Deutschland als Standort aussuchen. Doch warum stammen nach wie vor die erfolgreichsten Unternehmen aus den USA oder China und hat es bislang kein deutsches Startup an die Spitze geschafft?
Miele: Diese Frage beschäftigt mich immer wieder. Meine Antwort darauf hat im Kern damit zu tun, was ich mit dem Label „Made in Germany“ verbinde. „Made in Germany“ ist ein sehr fluides, wandelbares Konzept. Ausgedacht haben sich dieses Label Ende des 19. Jahrhunderts die Briten. Sie wollten damit deutsche Produkte als minderwertig diskreditieren und mit dem Hinweis auf das Herstellerland davor warnen, diese Ware zu kaufen. Wir Deutschen haben den Spieß umgedreht und mit der Zeit aus dieser Warnung „Made in Germany“ ein weltweites Qualitätssiegel für unsere Produkte gemacht.
Gilt das nach wie vor?
Miele: Im Augenblick vielleicht noch. Aber die Frage ist: Was wird mit „Made in Germany“ in Zukunft passieren? Wie wird die Welt dieses Label in 20, 30, 40 Jahren wahrnehmen? Immer noch als Qualitätssiegel? Um das zu beantworten, sollten wir uns vor Augen führen, auf welche Weise wir es geschafft haben, die ursprüngliche Intention der Briten ins Gegenteil zu verkehren. Das lag und liegt an vielen Dingen, die entscheidend mit unserer Mentalität zu tun haben: harte Arbeit, deutsche Werte, die ich persönlich gut finde, wie Pünktlichkeit, Genauigkeit, Präzision, auch eine gewisse Sturheit, die nicht unbedingt zu Firmen passt, die im Softwarebereich gegründet werden, weil es da meist um Schnelligkeit und Agilität geht, was nicht gerade zu unseren Stärken zählt. Deutsche Startups wenden sich wieder mehr wirklich wichtigen Innovationsthemen zu, die auf Gründlichkeit und Nachhaltigkeit und nicht in erster Linie auf einen raschen Erfolg und schnelles Geld setzen. Vielleicht ist das eine Entwicklung, die gut zu unseren ursprünglichen deutschen Tugenden passt.
Also Grund für Zuversicht?
Miele: Die Frage, ob „Made in Germany“ im Jahre 2050 immer noch ein Qualitätssiegel oder etwas völlig anderes sein wird, bleibt offen. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass dieses Label Umdeutungen erfah- ren hat und damit kein für alle Zeiten feststehender Begriff ist. Und ich weiß, dass es einst geholfen hat, uns dank unserer besonderen Arbeitsweise von der britischen Interpretation zu befreien. Also gehe ich davon aus, dass diese Tugenden, wenn wir sie wieder zum Leben erwecken, uns auch in Zukunft helfen können. Insgesamt jedoch würde ich uns Deutschen mehr „German Mut“ und weniger „German Angst“ wünschen. Dass wir wieder größer denken, uns von überkommenen engen deutschen Denkmustern befreien. Manche Kulturzuschreibungen, sogenannte Memes, die überwiegend übers Internet verbreitet werden, sind wirklich witzig. Auf Instagram & Co. gibt es Memes nur für uns Deutsche, die „Alman Memes“. Viele sind absolut zutreffend, beschreiben exakt, wie wir leben, wie wir die Dinge sehen und machen. Dank einiger dieser Eigenschaften funktioniert ja auch vieles gut bei uns. Doch wäre es hilfreich, wir „Almans“ würden an der einen oder anderen Stelle die ausgetrampelten Pfade verlassen, ein bisschen aus unserer Komfortzone heraustreten und mehr träumen. Andere können das ja auch.
Dieses Interview ist ein gekürzter Auszug aus dem Buch „Kraftakt: Warum wir uns neu bewähren müssen“, das am 7. November 2023 erschienen ist.
Author: Lawrence Howe
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