Was die Enthüllung tatsächlicher oder vermeintlicher Trade-Republic-Zahlen angeht, haben wir die letzten Jahre einen bisweilen etwas aktionistischen Ehrgeiz walten lassen. Mal glaubten wir, aus Mitteilungen des börsennotierten Minderheitsaktionärs Sino die Geschäftsentwicklung des zweitgrößten deutschen Fintechs herauslesen zu können (siehe hier); mal behalfen wir uns mit mehr oder minder spekulativen Analysten-Studien von M.M. Warburg (siehe hier); und immer und immer wieder verwiesen (und verweisen wir bis heute) auf irgendwelche semi-öffentlichen Handelsdaten, die angeblich (so behaupten wir das jedenfalls immer) einen ganz, ganz tollen Proxy für die aktuelle Geschäftsentwicklung des Berliner Neobrokers abgeben (siehe hier). Sonst noch was? Klar: Wenn es darum geht, dem Trade-Republic-Gründer Christian Hecker irgendwelche Sachen in den Mund zu legen, die er gar nicht gesagt, aber möglicherweise gemeint haben könnte, sind wir natürlich immer ganz vorne mit dabei (siehe sein viiieeelsagendes Nicht-Dementi auf die Frage, ob sein Unternehmen die 3-Mio.-Kunden-Marke erreicht hat). Bleibt die Frage: Was ist denn eigentlich mit den echten Trade-Republic-Zahlen, also denen mit Brief, Siegel und Testat? Ha!, die haben wir heute für Sie!!! Geschäftsjahr 2021/22 (das bei dem Neobroker am 30. September endete). Also durchaus frisch. Und hochinteressant.
Hier unsere sieben wichtigsten Erkenntnisse aus den Zahlen:
1.) Die Verluste wachsen rascher als die Erträge – bei dicker Kapitaldecke
Die kumulierten Zins- und Provisionsüberschüsse stiegen von 70 Mio. auf 96 Mio. Euro, gleichzeitig stieg der operative Verlust sehr viel stärker – nämlich von 50 Mio. auf 124 Mio. Euro. Diese exorbitante Aufwand-Ertrags-Quote bildet laut Trade Republic „die erwarteten Anlaufverluste ab, da der Fokus weiterhin auf Wachstum und der Erweiterung des Produktangebotes lag“, wie es im Abschluss heißt.
in Mio. Euro | Erträge | Verlust |
2020/2021 | 70 | -50 |
2021/2022 | 96 | -124 |
Unter dem Strich stand ein Jahresfehlbetrag von 145 Mio. Euro. Der ist allerdings nur bedingt mit dem Vorjahresminus von „nur“ 35 Mio. Euro vergleichbar, weil damals zuvor eine Steuergutschrift von 21 Mio. Euro das Nettoergebnis positiv beeinflusste.
Den grob verzweieinhalbfachten Verlust konnte sich Trade Republic mit Blick auf die Liquidität bei einer Barreserve von immer noch 300 Mio. Euro zum Geschäftsjahresende allerdings locker leisten. Und selbst nach Berücksichtigung des aufgelaufenen Bilanzverlusts von 195 Mio. Euro betrug das das Eigenkapital noch satte 389 Mio. Euro – zumal Trade Republic im Juni 2022 noch eine Finanzierungsrunde über 250 Mio. Euro vollzogen hatte (bei der die Bewertung bekanntermaßen bei 5 Mrd. Euro lag).
2.) Das Marketing ist der Haupt-Kostentreiber
Der deutlichen Anstieg des Fehlbetrags geht vor allem auf die nochmal in die Höhe geschossenen Sachkosten zurück. Die zogen von rund 94 Mio. auf 168 Mio. Euro an, während die Personalkosten „nur“ von 25 Mio. auf 51 Mio. Euro kletterten. Den Sachkostenanstieg führt Trade Republic recht detailliert auf „die gestiegenen Aufwendungen für Marketing, Mieten, Software- und Hardwaredienstleistungen sowie für Rechts- und Beratungsleistungen“ zurück – wobei Marketing- und damit die Kundengewinnungskosten der Haupttreiber sein dürften. Kurzum: Trade Republic musste einiges an Geld in die Hand nehmen, um das Geschäft anzuschieben.
Zumindest eine denkbare Erklärung für den Cashburn ist die unterjährige Entwicklung im Geschäftsjahr 2021/2022: Mit dem Ende der Corona-Lockdowns im Frühjahr 2022 kollabierten auch die Trading-Zahlen. Setzte die „Trade-Republic-Börse“ LS Exchange nach Finanz-Szene vorliegenden Daten noch im Januar Wertpapiere über im Schnitt 263 Mio. Euro pro Handelstag um, so halbierte sich dieses Handelsvolumen treppenförmig bis zum letzten Monat im Geschäftsjahr – dem September – auf nur noch 128 Mio. Euro pro Tag. Schwer vorstellbar, dass Trade Republic einen derartigen Einbruch auch kostenseitig antizipiert hatte.
Gleichwohl – oder vielleicht auch deswegen – liefert der Neobroker zwei elementare Zahlen in seinem Abschluss nicht: 1.) Wie viele Kunden man denn zum Jahresende hatte und 2.) wie viele man im Geschäftsjahr neu hinzugewonnen hat. Somit bleibt letztlich unklar, wie viel Trade Republic für seine Neukunden ausgeben musste.
3.) Auch die Personalausgaben pro Kopf steigen deutlich an
Ein interessanter Datenpunkt ist die Entwicklung der Mitarbeiterzahl – sie stieg bis Ende September von 341 auf 457, sprich ein plus von 34% gegenüber dem Vorjahr. Allerdings verdoppelten sich zeitgleich die Personalaufwendungen. Nun kommen und gehen unjährig ja mal Leute – zumal Trade Republic auch zu jenen Fintechs gehörte, die im Sommer 2022 Entlassungen ankündigten (siehe hier). Dennoch lässt sich grob ablesen: Die durchschnittlichen Personalaufwendungen pro Kopf stiegen weit über das übliche Fintech-Niveau an hinaus an – auf zuletzt gut 111.000 Euro je Beschäftigtem.
4.) Die Kunden haben knapp 1,5 Mrd. Euro bei Trade Republic liegen
Interessant ist auch der Anstieg des Treuhandvermögens von 933 Mio. auf 1.436 Mio. Euro – damit dürften vollständig die Kundeneinlagen gemeint sein, die Trade Republic an sein Partnernetzwerk für Treuhandkonten (Deutsche Bank*, Citibank und während des Geschäftsjahres auch noch der Solarisbank) durchleitete.
Gleichwohl profitierten die Berliner noch nicht von der Zinswende, auch wenn der EZB-Einlagenzins drei Wochen vor Geschäftsjahresende auf 0,75% stieg. Stattdessen fiel der Zinsertrag mit minus 7,7 Mio. Euro noch einmal negativer aus als im Vorjahr (minus 4,9 Mio. Euro). Das dürfte damit zusammenhängen, dass Trade Republic keine Negativzinsen bei Kunden erhob, also einen Teil davon selbst tragen musste. Allerdings merkte das Unternehmen im Abschluss bereits an, es sei "seit dem Beginn der Zinswende mit der Änderung des EZB Einlagenzinses auf 0 % am 27. Juli 2022 (...) nicht mehr von negativen Zinserträgen betroffen".
5.) Und die Einlagen dürften in diesem Jahr richtig Ertrag abwerfen
Unterstellt, dass der Neobroker das Treuhandvermögen auch in Q4 2022 im gleichen Tempo wie im Geschäftsjahr 2021/2022, dürften die Einlagen zum zum Jahreswechsel (also unmittelbar vor Beginn der "2-Prozent-auf-alles"-Aktion, siehe -> "2% auf alles!!! Welche Ratio steckt hinter der Irrsinns-Nummer von Trade Republic?") bei ungefähr 1.600 Mio. Euro gelegen haben.
Wenn wir überdies davon ausgehen, dass dieser Betrag fast vollständig durch Retail-Kleinanleger mit je maximal 50.000 Euro zustandekommt (denn darüber hinausgehendes Guthaben wird nicht verzinst), dann lässt sich folgende Rechnung aufmachen:
- Trade Republic hatte für weite Teile des laufenden Jahres lediglich 2% Zinsaufwand auf Einlagen, ehe man jüngst im Oktober auf 4% Einlagenzins erhöhte.
- Spätestens mit der Erhöhung des EZB-Einlagenzinses auf 2,5% am 8. Februar begann Trade Republic richtig Geld zu verdienen mit den Einlagen, zumal die "Partnerbanken" ja eher noch einen kleinen Aufschlag auf das zahlen dürften, was man bei der EZB über Nacht bombensicher erhält.
- Hinzu kommt noch die oben bereits erwähnte Barreserve von 300 Mio. Euro, auf die dann 2023 keinerlei Zinskosten, aber der volle Einlagenertrag anfallen dürfte.
- Im Schnitt lag der EZB-Einlagenzins zwischen Beginn der Aktion und dem Herbst 2023 bei gut 3% ...
- ... so dass Trade Republic näherungsweise mindestens 30 Mio. Euro Zinsüberschuss (oder auf Basis der Verträge mit Partnerbanken entsprechenden Provisionsüberschüsse) verdient haben dürfte – eher mehr, wenn wir davon ausgehen, dass Kundenzahl wie Einlagen noch kräftig weiter gestiegen sind (auch als Folge der 2-Prozent-Aktion).
6.) Die App-Bewertung ist wesentlicher nichtfinanzieller Leistungsindikator
Das Fintech nennt drei wesentliche Leistungsindikatoren in seinem Abschluss. Davon sind zwei finanzielle, nämlich
- die Provisionserlöse, welche von 94 auf 136 Mio. Euro stiegen
- und die Cost-Income-Ratio, welche mit 228% deutlich über dem Vorjahr (170%) lag.
Der zentrale nichtfinanzielle Leistungs-KPI ist es die Kundenzufriedenheit, bei der auf die Bewertungen von "mehr als 4 von 5 Sternen" im Apple App Store und bei Trustpilot verweist – was nahelegt, dass Trade Republic genau diese beiden Einheiten genau beobachtet. Obwohl sich Trade Republic seit dem Relaunch seiner App mit unzufriedenen Kunden herumschlagen muss (siehe hier), liegt die durchschnittliche App-Bewertung im Apple Store auch aktuell noch bei 4,2 von 5 Sternen und hat sich folglich auch seit dem Abschluss nicht verschlechtert – was auch daran liegt, dass die Grundgesamtheit mit 162.000 Bewertungen über die Jahre sehr stark gestiegen ist, die Bewertung verändert sich daher nur träge. Bei Trustpilot wiederum liegt Trade Republic mit 4.0 von 5 Sternen leicht unter dem Wert von September 2022.
7.) Die Prognose blieb schmallippig – und alles andere als bullish
Der Ausblick für 2023 fiel eher vage aus: Es ist die Rede davon, dass die Cost-Income-Ratio weiter bei über 100% liegen werde (was indes für ein gut gefundetes Wachstumsunternehmen naheliegend ist). Zudem hieß es, dass die Provisionserlöse, dass diese "steigen" werden. Hier dürfte hineinspielen, dass Trade Republic die Expansion in elf weitere Länder der Eurozone auch erst kurz nach Geschäftsjahresende im Oktober 2022 forciert hatte.
Die Kundenzufriedenheit sollte "auf dem Niveau der Vorjahre bleiben und weiterhin im Apple App Store und bei Trustpilot bei mehr als 4 von 5 Sternen liegen".
Sichtbar wurde allerdings im Abschluss auch ein bereits umgesetzter Plan: Es beginne nach langen Jahren mit Niedrig- oder Negativzinsen "nun eine Phase, in der zinsbasiertes Sparen wieder attraktiver wird", hieß es da, und weiter: "Dies stellt für Trade Republic eine Chance dar, auch Kundengruppen zu gewinnen, die an Zinsprodukten interessiert sind." Was im Nachhinein wohl die Anspielung auf den im September 2023 gestarteten Anleihenhandel zu verstehen sein dürfte.
in Tsd. Euro | 2021/22 | 2020/21 | Delta |
Zinserträge | -7.673 | -4.879 | - 57% |
Zinsaufwendungen | 0 | -17 | - |
Provisionserträge | 135.939 | 94.014 | + 45% |
Provisionsaufwendungen | -32.632 | -19.322 | - 69% |
sonstige Erträge | 1.241 | 0 | - |
Nettoaufwand des Handelsbestands | -1 | 0 | - |
Sonstige betriebliche Erträge | 582 | 1.525 | - 62% |
Allg. Verwaltungsaufwendungen | -218.418 | -118.573 | - 84% |
Abschreibungen | -1.505 | -713 | - 111% |
Sonstige betriebliche Aufwendungen | -984 | -2.473 | + 60% |
Erg. der normalen Geschäftstätigkeit | -123.452 | -50.438 | - 145% |
Steuern vom Einkommen und Ertrag | -21.594 | 15.217 | - |
Jahresfehlbetrag | -145.046 | -35.220 | - 312% |
* In einer ursprünglichen Fassung dieses Artikels war von Goldman Sachs anstelle der Deutschen Bank als Partnerbank die Rede. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.
Author: Daniel Martin
Last Updated: 1704015003
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